Wir haben eine Person interviewt, die arbeitsrechtliche Beratung für Menschen anbietet, die nicht aus Deutschland oder der EU kommen. Die Hinweise sind aber auch für alle anderen interessant. Denn es ist klar, dass die Probleme auf der Arbeit während Corona häufig zunehmen. Hier findet ihr das Interview.
Kannst du uns kurz beschreiben, was du in deiner Arbeit machst ?
Mein Kollege und ich beraten Menschen, die nicht aus Deutschland oder der EU kommen und in Bremen und Bremerhaven leben. Wir beraten bei Problemen auf der Arbeit und allem, was damit zusammenhängt, wie z.B. Arbeitslosengeld, Hartz IV usw. Wir sind keine Anwält*innen, sondern versuchen in der Beratung erstmal außergerichtlich zu helfen und über die eigenen Rechte zu informieren. Bei Bedarf helfen wir auch anwaltliche Unterstützung zu finden und verweisen an andere Stellen weiter. Außerdem machen wir Informationsveranstaltungen, z.B. in Sprach- oder Integrationskursen, um Menschen ihre grundlegenden Rechte auf der Arbeit zu vermitteln, aber vor allem auch, dass man sich bei Fragen oder Unsicherheiten etc. an uns wenden kann.
Welche Probleme hatten Leute, die vor Corona in eure Beratung gekommen sind? Was waren häufige Fragen?
Das Arbeitsrecht in Deutschland ist super kompliziert – vor allem, wenn es noch mit Aufenthaltsfragen verbunden ist. Viele Leute stehen unter großem Druck, ihren Lebensunterhalt selber verdienen zu wollen und zum Teil zu müssen. Das macht sie besonders gefährdet für Ausbeutung durch Arbeitgeber*innen. Dazu kommt das Problem, dass Rechte, Verträge und viele Informationen häufig nur in deutsch oder wenigen anderen Sprachen zur Verfügung stehen. Und natürlich gibt es auch auf der Arbeit und bei den Ämtern Probleme mit Rassismus – von Vorgesetzten, unter Kolleg*innen.
Konkret gab es bei uns bisher viele Fragen zu Arbeitslosengeld oder Hartz IV. Zum Beispiel die Frage, wie man eine Sperre beim Jobcenter vermeiden kann, wenn man ohne es zu Wissen einen Aufhebungsvertrag unterschrieben oder eine unzumutbare Arbeit beendet hat. Auch gab es häufiger Fragen zum Umgang mit Abmahnungen und Kündigungen oder auch wegen Diskriminierungen. Dazu kommen Fragen zum Mindestlohn bzw. Zum Lohn allgemein und das alles häufig im Kontext von Leiharbeit.
Die Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus betreffen viele Menschen in ihrem Arbeitsleben. Welche Probleme kommen aktuell hinzu?
Auf jeden Fall neue finanzielle Sorgen – weil sich mit 60 oder 67% Kurzarbeitgeld bei häufig eh schon niedrigem Einkommen kaum leben lässt. Viele Unternehmen sind eher nicht bereit das Kurzarbeitgeld aufzustocken. Ein großes Problem war dann auch die Kinderbetreuungsfrage, also nach den Kita- und Schulschließungen. Hier gab es jetzt immerhin eine kleine Verbesserung: Menschen, die sicher keine andere Betreeung finden und deshalb zu Hause bleiben, bekommen immerhin eine Entschädigung. Auch Leute, die selbständig sind, haben natürlich große Probleme. Wir versuchen dann, die passende Unterstützung zu finden. Kündigungen explizit wegen Corona haben wir bisher in unserer Beratung noch nicht mitgekriegt. Es kann aber gut sein, dass das noch kommt.
Darum hier ganz groß der Hinweis: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass nur Corona eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigt. Also Kündigungen nicht einfach akzeptieren, sondern sich Unterstützung holen und eine Kündigungsschutzklage einreichen. Und aufpassen, wenn der Arbeitgeber was zum unterschreiben vorlegt – das könnte ein Aufhebungsvertrag sein. Prinzipiell gilt: nichts unterschreiben, was man nicht versteht!
Für unsere Ratsuchenden kommt das Problem hinzu, dass es z.B. bei Hartz IV, das momentan ja eigentlich einfacher zu beantragen ist, Ausschlüsse und Einschränkungen für Menschen ohne deutschen Pass gibt. Zum Teil können betroffene Personen weitere Unterstützung nur über das Asylbewerberleitungsgesetz bekommen, was meistens viel weniger ist. Wenn Leute nicht mehr genug verdienen und deshalb Sozialleistungen beantragen müssen, kann das außerdem zu einem Problem für den Aufenthalt werden. Weil die Lebensunterhaltssicherung häufig eine Voraussetzung für die Verlängerung ist.
Viele Leute sind momentan auf Kurzarbeit. Was macht man, wenn das Kurzarbeitergeld nicht mehr reicht, um davon zu leben?
Für die meisten ist momentan das schnellste und unkomplizierteste, Hartz IV zu beantragen. Da wird momentan nicht nach den Kosten der Wohnung gefragt, das Vermögen wird nicht geprüft und es gibt keine Meldetermine. Die Beantragung und Bewilligung verläuft unkomplizierter als sonst. Letztlich reicht ein formloser Antrag, das heißt ein Zettel, auf den man schreibt „Ich beantrage Grundsicherung“, der zum zuständigen Jobcenter geschickt wird! Das ist z.B. auch hilfreich für Leute, die selbstständig sind – damit die jetzt nicht mit ihrem Ersparten, was eigentlich für das Unternehmen ist, ihre Miete bezahlen müssen. Aber – wie schon erwähnt, Leute, die z.B. einen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit oder Ausbildung haben, können deswegen Probleme bekommen und einige sind ganz ausgeschlossen. Ansonsten gibt es noch Leistungen wie Wohngeld. Menschen mit Kindern sollten den Notfall Kinderzuschlag beantragen und für Selbstständige gibt es auch verschiedene Hilfen.
Kurzarbeit muss der Arbeitgeber bei der Bundesagentur für Arbeit beantragen und die Arbeitnehmer*innen müssen zustimmen. Wenn es einen Betriebsrat gibt, muss der mitreden, wie übrigens bei vielen der jetzigen Änderungen und Maßnahmen. Häufig gibt es aber schon Klauseln im Vertrag. Wir empfehlen grundsätzlich, dass Leute Ihre Arbeitszeiten dokumentieren – auch jetzt wenn sie in Kurzarbeit geschickt wurden, um nachher zu überprüfen, ob alles korrekt berechnet wurde. Oder ob der Arbeitgeber zwar Kurzarbeit beantragt hat, es aber gar nicht umsetzt, was Betrug wäre und weshalb man dann seinen richtigen Lohn nachträglich geltend machen kann. In dem Zusammenhang geht es auch häufig um Urlaubsansprüche und Überstunden – und ja – man muss seinen Resturlaub vor der Kurzarbeit verbrauchen und auch Überstunden müssen abgebaut werden. Seinen aktuellen Urlaubsanspruch muss man aber nicht verbrauchen und in der Leiharbeit müssen keine Minusstunden „aufgebaut“ werden. Wenn man sich unsicher ist mit der Kurzarbeitsvereinbarung am besten auch fragen, wenn es gibt den Betriebsrat, oder uns, oder Arbeitnehmerkammer oder eine Gewerkschaft.
In vielen Betrieben wird aktuell mehr gearbeitet, Überstunden gemacht. Gibt es da Fallstricke, die man kennen sollte? Auf was muss man achten?
Grundsätzlich gilt hier wie immer: Überstunden müssen bezahlt werden, außer im Vertrag steht etwas anderes (Freizeitausgleich). Sie müssen auch vereinbart werden. Also überhaupt im Vertrag ermöglicht sein – was aber meistens der Fall ist. Der Arbeitgeber kann in außergewöhnlichen Fällen Überstunden anordnen, die jetzt zum Teil sogar die normalen Arbeitszeitgesetze überschreiten. Da gab es eine Neuerung auch bzgl. der Pausenzeiten und es gibt viele Ausnahmen vor allem in systemrelevanten Bereichen. Auch hier gilt: Auf jeden Fall nachfragen und beraten lassen. Zum Beispiel ist es jetzt gesetzlich erlaubt, 12 Std. zu arbeiten. Das war vorher in viel weniger Bereichen der Fall. Oder aber dass verkürzte Ruhezeiten gelten. Auf jeden Fall gut: Stunden aufschreiben!
Wir hören auch immer wieder aus Betrieben oder Supermärkten etc, das Arbeiter*innen sich dort nicht gut geschützt fühlen oder Gesundheitsmaßnahmen nicht eingehalten werden. Was kann man machen, wenn das auf der eigenen Arbeit so ist?
Schwierig. Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat klare Arbeitsschutzmaßnahmen vorgegeben, für die der Arbeitgeber verantwortlich ist: Reduzierung von Kontakten, z.B. über neue Schicht-/Teamregelungen, Abstandsmaßnahmen, die Ermöglichung von Hygienemaßnahmen (Händewaschmöglichkeiten z.B.). Wenn das nicht möglich ist, muss er zum Beispiel Mund-Nasen-Masken zur Verfügung stellen, bzw. in pflegerischen/medizinischen Bereich noch weitergehende Schutzkleidung. Das sind die Pflichten vom Arbeitgeber! Wenn der das nicht macht und es einen Betriebsrat gibt, erstmal an den wenden. Ansonsten an uns, die Gewerkschaft oder die Arbeitnehmer*innenkammer. Man sollte den Arbeitgeber schriftlich auffordern und Zustände am besten mit Foto dokumentieren und sich dann am besten Unterstützung (Faire Integration, Arbeitnehmerkammer, Gewerkschaft) holen. Die Leistung verweigern, weil nicht genug aus Sicht des Arbeitnehmers getan wird, ist riskant und unter Jurist*innen umstritten.
Wichtig ist: man kann nicht, aus Angst sich anzustecken, einfach zu Hause bleiben. Auch jetzt gilt, dass man sich auf jeden Fall melden muss, auch wenn man z.B. unter Quarantäne gestellt wird oder natürlich, wenn man arbeitsunfähig ist. Wenn man zu einer Risikogruppe gehört, sollte man das von eine*r Ärzt*in bescheinigen lassen. Und wenn die psychischen Belastungen zu groß werden und Menschen z.B. Panikattacken haben, weil der Arbeitsplatz zu gefährlich erscheint, sollte man sich auch an eine Ärzt*in wenden, weil man dann evtl. auch nicht arbeitsfähig ist. Eine weitere Möglichkeit ist, sich an den*die Betriebsärztin zu wenden.
Was sind deiner Meinung nach weitere wichtige Infos für Lohnabhängige in dieser Zeit?
Sich trotzdem weiterhin nicht alles gefallen lassen und nicht auf diese Erzählung „wegen Corona ist alles möglich und alle Rechte nichtig“ einlassen. Es sind viele Sachen geändert worden, z.B. Arbeitszeitgesetze, aber Arbeitgeber*innen dürfen trotzdem nicht alles. Das Betriebsrisiko z.B. tragen Arbeitgeber und wenn ein Betrieb vom Gesundheitsamt geschlossen wird, muss der Lohn weiter gezahlt werden. Es ändern sich gerade sehr schnell sehr viele Sachen, darum muss man sich vieles immer im Einzelfall angucken. Darum nicht zögern, auch bei kleinen Unklarheiten einfach schnell bei z.B. uns anrufen und fragen oder eine Mail schicken. Wir veröffentlichen regelmäßig aktuelle Sachen auf unserer Facebookseite: https://www.facebook.com/Faire.Integration.Bremen
Urlaub darf auch nicht komplett zwangsweise verbraucht werden – zumindest ein Teil muss Arbeitnehmer*innen zur freien Verfügung bleiben.
Kündigungen sollte man sich genau angucken, Corona ist nicht automatisch ein Grund, dass ein Arbeitgeber allen Arbeitnehmer*innen kündigen kann.
Nichts unterschreiben, was man nicht versteht!!
Und – bei einer mündlichen Kündigung, wenn der Chef einfach sagt „Du musst gar nicht mehr kommen“ – auf jeden Fall am nächsten Tag, zur normalen Zeit hingehen und die Arbeitskraft anbieten, am besten unter Zeugen, eine Kündigung MUSS schriftlich sein!
Wie vorher schon erwähnt – der Bezug von Sozialleistungen kann negative Auswirkungen auf den Aufenthalt haben – darum unbedingt nachfragen und beraten lassen.
Viele Antworten finden sich auch hier: https://iq-netzwerk-bremen.de/corona-und-arbeitsrecht-faq/
Faire Integration berät außerdem gerade bundesweit telefonisch, so dass mehr Sprachen zu Verfügung stehen.
Kontakt für Bremen und Bremerhaven sind:
E-Mail: mahmood.abo-jeap@arbeitundleben-bhv.de
E-Mail: milena.detzner@arbeitundleben-bhv.de
Beraten wird anonym, kostenlos, auch für Menschen ohne Aufenthalt und in verschiedenen Sprachen