Das Coronavirus stellt momentan unser Leben auf den Kopf. Die neue und sich schnell verbreitende Krankheit hat weltweit zu einer historischen Krise geführt, in der die herrschende Ordnung nicht mehr wie sonst funktioniert.
Dabei zeigt die Corona-Krise auch auf, in welchen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Missständen wir bereits vorher gelebt haben. Die langfristige schädliche Beziehung mit der Natur und die ständig wachsende Konkurrenz zwischen Privatunternehmen, Konzernen, Nationalstaaten sowie die damit einhergehende Ausbeutung von Ressourcen machen die Erde für Menschen und andere Lebewesen immer unbewohnbarer, wie auch der Klimawandel zeigt.
Das Virus ist gefährlich, besonders in einem System, in dem Krankenhäuser um die höchsten Profite untereinander konkurrieren, und daher immer auf Minimalversorgung ausgelegt sind und in dem auch die notwendigsten Hilfsmittel wie Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel als Ware gehandelt werden.
Die aktuellen Entwicklungen zeigen klarer als sonst, dass neoliberale wirtschaftliche Interessen unserem gesundheitlichen Schutz gegenüberstehen. Es wird deutlich, dass eine starke Wirtschaft keineswegs gleichzeitig auch gut für das Wohl der Menschen ist.
Die ausgerufenen Maßnahmen und Empfehlungen wie soziale Distanzierung oder Arbeit im Homeoffice sind nur für einen Teil der Gesellschaft überhaupt umsetzbar. Menschen, die täglich noch in Super- oder Baumärkten arbeiten müssen, im Logistikbetrieb oder in der Nahrungsmittelproduktion, als Krankenhaus- und Gesundheitspersonal, sind in viel höherem Maße gefährdet, sich anzustecken, ebenso wie Menschen, die auf engstem Raum oder in Lagern wohnen müssen und bei denen Abstand halten schlicht nicht möglich ist. Es ist also mehr ein „rette sich, wer‘s kann“, denn der gesellschaftliche Status entscheidet über die Möglichkeiten, sich zu schützen. Für einen Großteil der Menschen in der ganzen Welt hat die momentane Situation verheerende Folgen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Wohnungsverlust, etc. Die Corona-Krise verschlechtert somit die Lebensbedingungen vieler Menschen massiv und über die gesundheitliche Krise hinaus. Wie hart die Pandemie und die mit ihr verbundenen Maßnahmen die Menschen treffen, ist dabei auch eine Klassenfrage.
Es ist kein Zufall, dass ein Teil der Menschen unverhältnismäßig viel stärker von der Bedrohung durch Corona und deren gesellschaftliche Folgen betroffen ist. Auch ist es kein Zufall, dass das Gesundheitssystem, also die medizinische Ausstattung, der Lohn des Pflegepersonals und die Besetzung der Schichten immer niedriger ist bzw. schlechter funktioniert, während für marktwirtschaftliche Unternehmen, Wohnungskonzerne oder IT-Firmen immer bessere und profitversprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Der Staat hat ein Interesse daran, dass im Vergleich zu anderen Staaten in seinem Gebiet möglichst viel Gewinn erwirtschaftet wird (gemessen wird das dann im „Bruttoinlandsprodukt“ BIP). Gewinn ist aber mit menschenwürdiger Gesundheitsversorgung oder günstig zur Verfügung gestelltem Wohnraum nur schlecht zu erzielen, während der Handel mit Aktien oder mit Wohnungen als Spekulationsobjekt weit mehr Profite erbringt. Gewinn lässt sich auch vor allem durch Kürzung von Lohn- und Sozialabgaben erwirtschaften, wodurch immer schlechtere Arbeitsbedingungen entstehen.
In dieser Zeit, in der viele Menschen diesen Arbeiten nicht mehr nachgehen können, fällt für sie die sowieso schon prekäre Existenzgrundlage völlig weg. Es liegt also nicht am individuellen Verschulden einzelner Parteien oder Politiker*innen, dass das Virus auf ein lückenhaftes und lebensbedrohliche Gesellschaftskonstrukt trifft und somit um ein Vielfaches gefährlicher für viele Menschen wird. Es liegt an den grundlegenden Zielen, die ein bürgerlicher Staat und somit auch die einzelnen Akteure in ihm haben. Gesundheit und gut leben zu können ist aber wichtiger als Profite!
Das Leben steht still, während alle Kosten weiterlaufen. Wir brauchen also eine finanzielle Absicherung, die über die Maßnahmen der Bundesregierung hinausgeht. Die Grundversorgung muss kostenlos garantiert und nur die notwendigste Produktion aufrecht erhalten werden, während der Lohn weitergezahlt wird. Die Belegschaften sollen selbst entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen sie aktuell weiterarbeiten. Die Mietkosten müssen während der Zeit der Pandemie ausgesetzt werden. Ohne gesichertes Einkommen können wir auch keine Miete zahlen. Kündigungen wegen verzögerter Mieten, Zwangsräumungen und Strom- und Wassersperren müssen verhindert werden. Ebenso müssen Lager evakuiert und Geflüchtete dezentral und menschenwürdig untergebracht werden. Die ausreichende und kostenlose Gesundheitsversorgung muss gewährleistet werden. Pflegepersonal, das in dieser Risikosituation arbeiten muss, sollte bessere Löhne bekommen und an allen Arbeitsplätzen müssen strenge Gesundheitsstandards eingehalten werden. Wir lassen uns nicht „verheizen“ und fordern eine Entprivatisierung des Gesundheitssystems. Der Staat greift momentan massiv in unsere Leben ein und nutzt seine Macht und Autorität, wo er kann. Dies darf nicht über die Corona-Krise hinaus aufrecht erhalten werden. Wir wollen unsere Daten selbst kontrollieren und uns nicht über Internet oder Telefon überwachen lassen. Auch Angriffe auf die Versammlungsfreiheit, Streikrecht und kollektive Meinungsäußerung können wir nicht dulden.
Die Corona-Krise zeigt, dass momentan viel unternommen wird, dieses Wirtschaftssystem mit seiner Konkurrenz- und Profitlogik zu retten, während die Verschärfung von schlechten Arbeits-, Miet- und Lebensbedingungen kaum abgefedert wird. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren. Wir wollen der räumlichen Isolation eine solidarische Verbundenheit entgegensetzen. Die Krise darf nicht zu persönlicher Vereinzelung führen. Wir müssen uns selbst organisieren, solidarisch miteinander für unser Wohlergehen sorgen und darauf achten, dass keine*r zurückbleibt.
Gerade in diesen Zeiten müssen wir uns von unten als solidarische Nachbar*innen stärken und gegenseitig unterstützen. Schnell haben sich viele Nachbar*innen in Initiativen zusammengefunden, um anderen beispielsweise durch Einkauf, Kinderbetreuung oder Hunde-Ausführen zu helfen und so gefährdetere oder besonders betroffene Menschen zu schützen. Wir begrüßen diese Entwicklung und hoffen, dass sie über die Krisenzeit hinaus anhält und sich solidarische Beziehungen entwickeln, die langfristig dazu beitragen, dass wir über unsere Leben und unsere Wohnräume gemeinsam bestimmen.
Mit Solidarisch in Gröpelingen versuchen wir seit einigen Jahren, solche Strukturen aufzubauen. Lasst uns auch in dieser Zeit der Isolation solidarisch miteinander verbunden bleiben, diejenigen, die gesundheitlich und sozial mehr zu befürchten haben, unterstützen, und weiter an einer Welt arbeiten, in der das Wohl aller Menschen das gemeinsame Ziel ist.