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Kommentar zur aktuellen Hetze gegen Arbeiter*innen ohne Arbeit

Die SPD führte 2004 im Rahmen ihrer Agenda 2010 die Hartz Reformen ein und beabsichtigte damals zum einen, die Kosten des Sozialstaats zu senken, zum anderen ging es allerdings darüber hinaus darum den Arbeitsmarkt an sich zu reformieren. Wo zuvor unbefristete Vollzeitarbeit die Grundlage der Existenz bildete, sollten nun Zeit- und Leiharbeit sowie Teilzeit und Befristungen die zukünftigen Rahmenbedingungen von Arbeit darstellen. Seitdem sind nicht nur die Zahlen der Aufstockerinnen enorm gestiegen, also Menschen, die von ihrer Lohnarbeit nicht leben können und zusätzlich staatliche Leistungen empfangen müssen. Die neuen Arbeitsformen sind für Arbeitgeberinnen deshalb so wertvoll, weil sie an ihre Arbeitskräfte weniger gebunden sind, weshalb Arbeitslosigkeit wiederum ein gewollter Aspekt der Arbeitsmarktpolitik seit 2004 ist. Wer aber nun arbeitslos wird, sei kein Resultat dieses Systems, sondern diese Menschen würden gar nicht arbeiten wollen und müssten dafür bestraft werden, so vernimmt man es aus Kreisen der Regierung, z.B. von einem Christian Lindner.

Die Hartz-Reformen führten die Prinzipien von „Fordern und Fördern“ offiziell ein. Es wurde in diesem Sinne in den vergangenen 20 Jahren von den Arbeitnehmenden sehr viel eingefordert. Zu viel, sagte 2019 das Bundesverfassungsgericht und erklärte existenzbedrohliche Maximalkürzungen als verfassungswidrig. Das war der Ausgangspunkt zum Bürgergeld und nicht der Wille die Arbeitsmarktpolitik ernsthaft sozialstaatlich reformieren zu wollen. Der aktuelle Vorschlag die Ablehnung von Arbeit wieder maximal zu sanktionieren, unterstreicht den nach wie vor vorhandenen Geist der Hartz-Reformen und würde einmal mehr die Gruppe treffen, die Weiterbildungen am meisten braucht: die Menschen im Niedriglohnbereich. In diesem Bereich sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationsgeschichte tätig, unter anderem auch weil ausländische Berufsabschlüsse in Deutschland häufig nicht anerkannt werden.

Gerade Menschen im Niedriglohnbereich benötigen jedoch dringend die Möglichkeit für Weiterbildungen, um den unsicheren Arbeitsbedingungen, die in diesem Sektor herrschen, entkommen zu können. Dass Niedriglohnarbeit wie 1€ Jobs in sichere Arbeitsverhältnisse münden würden, hat sich schon kurz nach den Hartz-Reformen als Luftschloss erwiesen. Die Androhung von Sanktionen in einem solch existenzbedrohenden Ausmaß führen einzig dazu, dass diese jegliche Art von Arbeit annehmen müssten und ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen umso schutzloser ausgeliefert sind.

Sanktionen sind nie abgeschafft worden und wir können aus unserer Beratungsarbeit berichten, dass auch weiterhin Gelder komplett eingestellt wurden, wenn z.B. vermeintlich der Mitwirkung nicht nachgekommen wurde, obwohl entsprechende Dokumente bereits mehrfach eingereicht wurden (insbesondere im Rahmen von Aufstockung ein verbreitetes Problem). Arbeitsangebote annehmen zu können, ist zudem nicht für alle Menschen gleichermaßen möglich. Besonders bedroht von den aktuell debattierten Sanktionsmöglichkeiten wären Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht oder nur sehr eingeschränkt erwerbstätig sein können.

Hiervon sind zum einen Menschen betroffen, die Care-Arbeit leisten, wie Alleinerziehende und pflegende Angehörige, was statistisch betrachtet vor allem Frauen* betrifft. Aufgrund der fehlenden Anerkennung (sowohl gesamtgesellschaftlich als auch durch Jobcenter) von Care-Arbeit werden auch diese verstärkt zur Annahme von jeglicher Arbeit gedrängt werden. Ebenso betroffen sind Menschen mit Erkrankungen und Behinderungen, da auch hier sehr hart gekämpft werden muss, damit gesundheitliche Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit überhaupt vom Jobcenter anerkannt werden.

Sanktionen treffen also nicht alle gleich, sondern besonders die Menschengruppen, die sowieso schon unter Marginalisierung und Diskriminierungen leiden und verschärfen somit weiter die gesellschaftliche Ungleichheit.Die Forderung nach stärkeren Sanktionen bedient vor allem Ressentiments gegenüber armen Menschen und zeugt vom verbreiteten Bedürfnis nach unten zu treten. Hierbei wird der gesellschaftlicher Wert des Menschen einzig an seiner Produktivität gemessen. Hierbei gilt einzig Erwerbsarbeit als Arbeit, während andere wertvolle Tätigkeiten, wie Care Arbeit oder politisches Engagement weder entlohnt noch wertgeschätzt werden.

Sanktionen werden die Probleme der Menschen nicht lösen. Stattdessen werden sie die Abhängigkeit von prekären Arbeitsverhältnissen und Behördenwillkür weiter verschärfen. Menschen, die bisher schon am absoluten Existenzminimum leben, werden dann zu der Annahme jeglicher Arbeit genötigt werden können, da sonst ihr reines Überleben bedroht ist. Es bleibt hierbei völlig offen, wie Betroffene von Sanktionen ohne Geld in unserem kapitalistischen System überleben sollen. Dieser Vorschlag ist ein weiterer Angriff auf die Menschenwürde und das Leben von Armutsbetroffenen.

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