Harald wie lange lebst du schon in Bremen Gröpelingen ?
Ich wohne jetzt seit 5 Jahren hier. Nach meiner Scheidung 2014 bin ich für ein Jahr nach Schwarmstedt gezogen. 2015 habe ich mich entschlossen, meine Wohnung aufzugeben und mich in therapeutische Behandlung zu begeben. So bin ich nach Bremen gekommen. Ich habe dann drei Jahre lang in einem betreutem Wohnen gelebt. Danach wollte ich die therapeutische Betreuung gerne verlängern. Diese wurde leider abgelehnt. Auch eine ambulante Therapie in Behandlungszentrum West ist nicht möglich. Dort war ich für eine kurze Zeit, aber dann wurde mir, auf Grund eines falschen Testergebnis, Drogenmissbrauch vorgeworfen und ich bin aus der Behandlung geworfen worden. Und das, obwohl falsche Testergebnisse keine Seltenheit ist und ich auch nicht die einzige Person mit dem Problem bin. Aber das Behandlungszentrum hat eine Wiederholung des Tests abgelehnt. Es wurde mir gesagt, ich werde auch woanders in Bremen keine Hilfe erhalten. Diese Aussagen und die falschen Vorwürfe haben meinem psychischen Zustand nur noch verschlechtert. Die einzige Möglichkeit um doch noch Unterstützung zu bekommen, wäre vors Sozialgericht zu gehen, das schaffe ich nicht. Inzwischen habe ich so Angst vor den Begegnungen das ich mich wie gelähmt fühle.
Mein einziges Glück ist, dass ich einen sehr guten Hausarzt habe. Seit den zwei Jahren ohne Unterstützung verschreibt der mir regelmäßig Medikamente. Leider haben die aber zum Teil erhebliche Nebenwirkungen.
Du gehst sehr offen mit deiner psychischen Belastung um, wie kommt das so an?
Ja ich sehe das so, dass viele Menschen ein Handicap haben. Meines ist halt das. Dennoch sehe ich mich, als wichtigen der Teil der Gesellschaft. Ich finde egal welches Handicap ein Mensch hat, alle haben das Recht auf soziale Teilhabe. Leider sehen das nicht alle so. Auf Grund des Handicaps bin ich vom Jobcenter als nicht vermittelbar eingestuft. Das heißt, auch wenn ich arbeiten möchte, stellt mich jetzt keine Person mehr ein. Dabei kann ich mir schon vorstellen, ein paar Stunden in der Woche zu arbeiten. Dadurch bin ich jetzt in zweifacher Hinsicht stigmatisiert, sowohl auf Grund der psychischen Einschränkung und durch den Bezug von ALG2.
Dies habe ich auch schon in einigen Situationen erlebt.
Ich möchte mich gerne irgendwo in der Gesellschaft einbringen. Aber das ist für mich nicht möglich. Zum Beispiel habe ich mich für mehrere Ehrenämter gemeldet. Aber die wollen mich nicht haben, da sie mich für nicht vertrauenswürdig halten. Und das, obwohl ich auch einige Qualifikationen habe. Ich bin gelernter Industriekaufmann und Krankenpfleger.
Auch von behördlicher Seite erfahre ich keine Unterstützung,
Ganz im Gegenteil: Ich habe es selber erlebt und von anderen Menschen gehört, dass das Jobcenter Menschen in Maßnahmen steckt, die psychische Krankheiten nur noch schlimmer macht. In den Maßnahmen muss man zum teil jeden Tag in der Woche arbeiten und das auch in Bereichen in denen es einen nicht gut geht. Man kann sich auch nicht dagegen wehren, da einem sonst sofort angedroht wird die eh schon zu knappen Bezüge zu kürzen. Das ist extrem schwer auszuhalten.
Ich fühle mich alleine gelassen und sozial isoliert!
Wie erlebst du gerade die Coronazeit, hat dadurch die soziale Isolation noch einmal verstärkt?
Für mich hat sich nichts verändert. Schon vorher war ich isoliert und habe mich wie in einer Dauerquarantäne gefühlt. Ich hoffe allerdings das mehr Menschen bewusst wird, welche Problemen durch soziale Isolation ausgelöst werden können.
Hast du Veränderungen in Gröpelingen seit Beginn der Corona Pandemie bemerkt?
Die Präsenz von Ordnungsamt und Polizei wurde massiv ausgeweitet.
Gerade in den Parks oder an Stellen, an denen sich Menschen treffen, die woanders keinen Rückzugsraum mehr haben, fährt die Polizei oder das Ordnungsamt alle halbe Stunde vorbei. Es wird unter dem Deckmantel von Corona die Polizeipräsenz ausgeweitet. Jetzt habe ich das Gefühl stets unter General Verdacht zu stehen.
In Gröpelingen gab es in letzter Zeit einige Einsätze von der Polizei die ihre Inkompetenz offen legen. Der Fall von Mohamed Idrissi zeigt, dass die Polizei Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Belastungen hat und nicht weiß wie damit umzugehen ist. Als eine von psychisch Erkrankungen betroffene Person macht mir das Angst und belastet mich stark. Zum Teil traue ich mich nicht mehr in den Park. Obwohl das die einzige Möglichkeit für mich ist noch in sozialen Kontakt zu treten.
Und wie steht es mit der Solidarität, hast du da Veränderungen während der Coronapandemie bemerkt?
Unterschiedlich. Generell hat sie zugenommen. Menschen teilen mehr Lebensmittel und Dinge des alltäglichen Bedarfs. Die werden dann entweder direkt an die Straße gestellt oder in eigens dafür erstellten Gruppen gepostet. Das hat seit Beginn von Corona extrem zugenommen.
Gleichzeitig hat die „Ausländerfeindlichkeit“ in sozialen Randgruppen zu genommen. Viele Migrant*innen trauen sich nicht mehr zum Suppenengel zu kommen, da die Stimmung inzwischen dort sehr aufgeheizt ist. Für mich ist das der „Kampf um den vorletzten Platz“. Die Menschen sind nicht per se rassistisch. Es die einzige Möglichkeit Gehör zu finden oder um es nüchtern auszudrücken, um an Lebensmittel zu kommen.
Das ist für mich ein eindeutiges Versagen der Politik. Anstatt das auf das Allgemeinwohl geachtet wird, geht es vielen Politiker*innen nur noch um Wahlkampf und ihr eigenes Image. Es werden Milliarden in die künstliche Erhaltung von Flugunternehmen gepumpt. Aber es ist nicht möglich ALG 2 aufzustocken?
Schon vor Corona war es schwierig mit ALG2 über die Runden zu kommen. Jetzt ist es unmöglich. Wie mir geht es vielen in Gröpelingen. Durch Corona werden es immer mehr Menschen in den Bezug von ALG2 fallen. Dennoch sieht der Staat die Dringlichkeit nicht ein und verlässt sich bei der Versorgung von Lebensmittel auf außerstaatliche Institutionen wie die Tafeln und die Suppenengel. Die Politik kommt ihrer gesellschaftlichen Verpflichtung nicht nach. Wenn die Ausgabe von den Suppenegeln voraussichtlich in Gröpelingen zu Ende Oktober eingestellt wird, weiß ich nicht wie es weiter gehen soll. Die Lage wird immer prekärer.
Seitdem klar wird, dass die Ausgabe von den Suppenegeln wahrscheinlich eingestellt wird, habe ich versucht mich an politische Institutionen zu wenden, aber mir wurde nicht zugehört und ich wurde nicht ernst genommen. Auch mein Leserbrief an den Weser Kurier wurde kommentarlos abgelehnt. Auch die nächste Tafel in Burg Grambke ist zu weit weg. Problematisch ist der lange Fahrtweg, den nicht alle machen können und die auch nicht alle bezahlen können.