Mit der Stadtteilgewerkschaft ins neue Jahr: von unten und nach links!
Unser Jahresrückblick auf 2021 – Wie war das Jahr 2021 für die Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen und die Aktiven in Gröpelingen?
In 2021 haben wir von Januar bis Dezember durchgängig jede Woche Mittwoch und Donnerstag in unseren Räumlichkeiten (genannt „der Laden“) in der Liegnitzstraße 12 viele Menschen aus der Nachbarschaft beraten, die Fragen rund um Themen wie Mietschulden, und damit verbunden drohende Räumungen, Jobcenter, Aufenthaltstitel oder Arbeitsrecht mitgebracht haben.
Durch die Beratung wollen wir mehr von den Schwierigkeiten, denen die Menschen in Gröpelingen jeden Tag begegnen, mitbekommen und wir wollen uns durch die Begegnungen in der Beratung besser kennenlernen. Wir möchten Vertrauen zueinander aufbauen. Ganz wichtig ist es uns deswegen, uns in regelmäßigen Vollversammlungen zu treffen. In den Vollversammlungen entscheiden wir gemeinsam, zu welchen der Probleme aus der Beratung wir politisch aktiv werden möchten. Was betrifft besonders viele Menschen? Wo sehen wir dringenden Handlungsbedarf? Welche Kämpfe können wir gewinnen?
Mit der Vollversammlung, die in 2021 von August bis November dreimal stattgefunden hat, möchten wir einen gemeinsamen politischen Raum schaffen, in dem deutlich wird: die Probleme aus der Beratung sind keine Probleme von einzelnen Menschen. Sie können deswegen auch nicht nachhaltig in einzelnen Kämpfen oder Rechtsstreitigkeiten gelöst werden. Sondern: die Probleme – wie Stress mit der Miete, dem Jobcenter/Sozialamt, der Ausländerbehörde, Leiharbeit und schlechte Arbeitsbedingungen, Rassismus usw. – vor denen viele Menschen in Gröpelingen und in anderen Stadtteilen in Bremen täglich stehen – haben damit zu tun, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist und organisiert wird. Und vor allem mit unserer kapitalistisch organisierten Wirtschaft. Diese Probleme und Schwierigkeiten können deswegen auch nur verbessert werden, wenn wir die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft funktioniert, zum Thema machen. Und wenn wir gemeinsam als Stadtteilgewerkschaft politische Forderungen nach Veränderung stellen und zusammen Druck aufbauen. Wir sind uns immer noch sicher: eine andere und bessere Welt ist möglich, und nur zusammen können wir Veränderungen erreichen.
Die Beratung, die Vollversammlungen und politische Kämpfe, die wir als Stadtteilgewerkschaft führen, ergeben deswegen für uns vor allem in ihrem Zusammenspiel Sinn.
In 2021 waren wir außerdem an mehreren wichtigen politischen Tagen aktiv. Im Februar haben wir mit einem großen Transparent, kleinen Texttafeln, Fotos, Blumen und Kerzen an den rassistischen Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020 erinnert. Bei dem Anschlag wurden 9 Menschen aus rassistischen und faschistischen Motiven ermordet. Das große Transparent hing eine Woche lang an der größten Kreuzung in Gröpelingen an Ohlenhof. Nachbar:innen haben Blumen dazu gelegt und immer wieder die Texttafeln aufgestellt oder Kerzen angezündet.
Zum 8. März haben wir aus Bildern und Texten große Wand-Collagen zu Sexismus und Frauen*kämpfen in unserem „Laden“ ausgestellt. Die Ausstellung war am 07. März eine Station der Fahrradralley vom Frauen*Streik-Bündnis Bremen.
Ausstellung zum 08. März mit Besucher_innen der Fahrrad-Ralley vom Frauen*Streik Bündnis Bremen Fotocollagen und Slogans im Fenster
Außerdem haben wir am 01. Mai einen Redebeitrag bei der revolutionären und internationalistischen 1. Mai Demo in Bremen gehalten. An der Demo haben ca. 1000 Menschen teilgenommen und viele Organisationen und Gruppen aus Bremen, die basispolitisch aktiv sind, wie Together We Are Bremen, das Bündnis Zwangsräumungen verhindern oder das Bündnis Justice for Mohamed haben in Redebeiträgen von ihren Aktivitäten und Forderungen berichtet.
Hier ein Zitat aus unserem Redebeitrag vom 01. Mai 2021:
„Ja, wir werden mit einem Kampf gegen Leiharbeit nicht die Lohnarbeit abschaffen.
Wir werden auch mit unseren Kämpfen gegen Vonovia nicht verändern, dass Wohnraum eine Ware ist. Wir werden mit der Forderung nach Gerechtigkeit für Mordopfer nicht den Rassismus beenden.
Aber wir können in diesen Kämpfen belastbare Strukturen entwickeln und uns vernetzen. Wir können erlebbar machen, dass Solidarität eine Kraft erzeugt. Eine Kraft, die die bestehende Macht herausfordert und Erfolge erzielen kann.“
Hört hier: https://www.facebook.com/239290850012710/videos/753971305289954
Am 18. Juni haben wir ebenfalls mit einem Transparent an die Ermordung von Mohamed Idrissi in Gröpelingen durch die Polizei im Juni 2020 erinnert. Mohamed Idrissi wurde vor allem deswegen von der Polizei erschossen, weil er psychisch erkrankt war, nicht weiß aussah und in einem armen Stadtteil in Bremen gewohnt hat.
Am 26. September haben wir in einem kämpferischen Redebeitrag beim Klimastreik, zu dem Fridays for Future in Bremen aufgerufen hatte, festgestellt, dass eine Überwindung der herrschenden Verhältnisse, die das Leben auf unserem Planeten zerstören, nur in der Verbindung von lokalen und globalen Kämpfen möglich ist.
Wichtig war für uns in 2021 auch die Zusammenarbeit mit Berg Fidel Solidarisch (kurz BFS) aus Münster. Mit BFS sind wir seit Jahren eng verbunden. Diese Verbundenheit konnten wir in 2021 glücklicherweise erweitern und vertiefen. Von Beginn des Jahres an haben wir in einer städteübergreifenden 5er-Arbeitsgruppe eine gemeinsame Bildung mit BFS geplant. Einige von uns haben Berg Fidel Solidarisch im Mai 2021 besucht und den Stadtteil bei einem gemeinsamen Spaziergang kennengelernt. Anschließend tauschten wir uns über unsere Praxis in den beiden Stadtteil-Basisorganisationen aus, über Erfahrungen in Mietkämpfen gegen LEG und vonovia, beim Stadtteilzeitung-Schreiben und Infotischen. Ebenfalls im Mai haben wir eine Anti-LEG-Demo in Münster mit einem solidarischen Audio-Beitrag unterstützt.
Im September haben wir gemeinsam mit Berg Fidel Solidarisch auch einen Text veröffentlicht, der den aktuellen Stand unserer Überlegungen rund um revolutionäre Stadtteil-Basisarbeit wiedergibt. Der Text hat den Titel „Stadtteilarbeitsbewegung – Die Konstruktion einer Alternative“ und kann hier nachgelesen werden: https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/stadtteilbasisbewegung-stadtteilarbeit-die-konstruktion-einer-alternative-6633.html
Die 5-tägige selbstorganisierte Bildung, genannt Sommerschule, gemeinsam mit Aktiven von Berg Fidel Solidarisch, war eines der Highlights in 2021. In der Nähe von Bielefeld haben wir uns mit insgesamt 20 Teilnehmenden selber zu Themen wie dem ’Zusammenspiel von Arbeit an der Basis und Arbeit in Bewegungen’ fortgebildet. Externe Expert:innen haben wir zu Themen wie Organizing, Öffentlichkeitsarbeit und Theaterpädagogik eingeladen. Ein Höhepunkt der Bildung war eine Live-Schalte mit Débora Nunes vom Direção Nacional des Movimento dos Sem Terra (MST) in Brasilien. Débora hat im Interview vor allem betont, dass der Aufbau einer organisierten Basisbewegung und die Organisierung von Menschen unbedingt von den konkreten Notwendigkeiten des Alltags ausgehen muss. Von dort aus kann es dann zum gemeinsamen Lernen über die Gesellschaft und zu Prozessen der Politisierung kommen. Das ganze Interview mit ihr könnt ihr hier nachlesen: https://solidarisch-in-groepelingen.de/es-gibt-kein-fertiges-rezept-der-ausgangspunkt-ist-die-notwendigkeit-daraus-gilt-es-einen-permanenten-kampf-zu-entwickeln/
Auch zum Thema Miete waren wir in 2021 weiterhin aktiv, wenn auch in geringerem Ausmaß als in den Jahren zuvor.
Anfang des Jahres 2021 haben wir uns online mit der bundesweiten voNO!via-Kampagne vernetzt. Die Kampagne wird von einem Zusammenschluss von Mieter:innen-Vereinen, Gewerkschaften und -Basisgruppen aus ganz Deutschland getragen.
Im Austausch mit anderen Aktiven ist erneut deutlich geworden, wie der Vonovia-Konzern sich in ganz Deutschland auf dieselbe Art und Weise an Mieter:innen bereichert, durch Abzocke bei den Nebenkosten (Stichwort: Tochterfirmen-System) und durch wenig nachhaltige „Modernisierungen“. Zum Thema Mieter:innen-Organisierung haben wir im Juni auch zu einer Online-Veranstaltung eingeladen.
Aktive von „Deutsche Wohnen enteignen“ und „Kotti & Co“ aus Berlin, so wie eine Vertreterin vom Deutschen Mieterbund in Bremen haben
bei dieser Veranstaltung von ihren Erfahrungen in verschiedenen Mietkämpfen berichtetet und wichtige Tipps für die Praxis mit uns geteilt.
Ein weiterer Höhepunkt im Bereich „Voneinander-Lernen“ war der Besuch einer Delegation der Zapatist:innen aus Chiapas/Mexiko bei uns im Oktober. 5 Delegierte der ca. 170 Europa-Reisenden der Zapatist:innen haben uns für einen Nachmittag besucht. Zwei Stunden lang konnten wir uns mit ihnen austauschen und von der Geschichte und den Erfahrungen der Freund:innen aus Mexiko lernen.
Die Zapatist:innen kämpfen seit Jahrzehnten in Chiapas gegen Ausbeutung und Unterdrückung und für die Rechte und Selbstbestimmung der indigenen Bevölkerung. In den letzten 27 Jahren haben sie dabei eine eigene Regierungsform und Selbstverwaltung entwickelt, die auf der maximalen Beteiligung der Menschen selbst beruht und „von unten nach oben“ organisiert ist.
Ebenfalls im Oktober haben wir eine Kundgebung gegen eine vorgeschobene Eigenbedarfskündigung des Bündnis Zwangsräumungen verhindern unterstützt. Die Kündigung wird in 2022 vor Gericht verhandelt, auch den Prozess wird das Bündnis Zwangsräumungen verhindern kritisch begleiten.
Im Rahmen der Kritischen O-Woche an der Uni Bremen hatten wir die Gelegenheit unsere Arbeit und Solidarisch in Gröpelingen vorzustellen, ebenso in der taz, die im Oktober einen Artikel mit dem schönen Titel „Ein Viertel legt sich mit Immobilienkonzernen an“ über uns veröffentlicht hat. Hier gibt’s den Artikel zum Nachlesen: https://taz.de/Ein-Viertel-legt-sich-mit-Immobilienkonzernen-an/!5804588/
Auch in 2022 wird die Arbeit in der Stadtteilgewerkschaft weitergehen. Denn wir brauchen organisierte, linke Strukturen, die von unten eine gesellschaftliche Gegenmacht / populäre Macht aufbauen. Wir brauchen diese Strukturen in allen Stadtteilen, in allen Städten und allen Ländern. Und wir brauchen Ideen, wie eine andere, eine bessere Welt aussehen kann.
Solidarisch in Gröpelingen, Januar 2022